Ein Deep Dive in Künstlicher Intelligenz, Fake News und den zukünftigen Journalismus an der «Real oder Fake?»-Veranstaltung in Luzern

Sabine Süsstrunk, Verwaltungsrätin der SRG SSR und Professorin für Computer and Communication Sciences an der EPFL, war die Hauptreferentin des Abends. Am anschliessenden Podiumsgespräch nahmen Karin Portmann, Leiterin der SRF-Regionalredaktion Zentralschweiz, und Tristan Brenn, SRF-Chefredaktor TV, teil. Moderiert wurde die Diskussion von Elena Müller .

Inmitten von Weihnachtsdekoration treffen wir uns am Donnerstagabend, dem 26. Oktober 2023, im Theaterpavillon in Luzern. Die Deko ist vom Theaterstück, das zurzeit gastiert. Das Theater als Hort der Illusion und Täuschung scheint perfekt für unseren Abend. Wir wollen uns über den Journalismus im Zeitalter der Digitalisierung unterhalten, über künstliche Intelligenz und die Gefahr und die redaktionellen Herausforderungen von Fake News. Also, Vorhang auf. Die Vorstellung beginnt.

Der Pabst in Gucci und Leonardo DiCaprio mit der Stimme eines Verstorbenen

Sabine Süsstrunk begrüsst uns in einem Video, im Selfie-Format aufgenommen, in welchem, während das Video läuft, sich Form und Kontur des Gesichts verändern. Funktionieren tut das über Codes und Applications einer künstlichen Intelligenz. Künstliche Intelligenz? Soweit sind wir noch nicht, erklärt Sabine Süsstrunk umgehend. Stattdessen bewegen wir uns im Bereich des maschinellen Lernens. Selbstlernende Algorithmen haben Zugriff auf riesige Datenmengen und durchforsten diese nach Mustern, die sie schliesslich in Text, Video oder Ton wiedergeben. Eigentlich intelligent sind diese Maschinen nicht. Noch nicht.

Schnell wird klar: Sprachmodelle und Chatbots wie ChatGPT, Bild- und Videogeneratoren wie Dall-E oder Midjourney sind faszinierende Instrumente und dringen im Eiltempo in die verschiedensten Lebensbereiche vor. Die Anwendungen können inspirieren oder kreative Prozesse unterstützen. Leider lügen die Roboter oft, erfinden Dinge oder wissen keine Antwort, weil das Gefragte in den Daten, mit denen sie gefüttert werden, nicht vorkommt. Noch kann man KI-Bilder als solche erkennen: Fein gezeichnete Linien, Details und komische Hände – das sind Erkennungsmerkmale von Bildern, die mittels dieser künstlichen Intelligenzen geschaffen wurden. Es wird aber immer schwieriger, so Süsstrunk. Zum Abschluss des Referats folgt ein Video von Leonardo Di Caprio, dessen Auftritt vor den Vereinigten Nationen plötzlich mit den Stimmen von Joe Rogan, des verstorbenen Steve Jobs oder Paris Hilton versehen ist. Erstaunlich: Auch die Mimik des Schauspielers verändert sich mit den Stimmenwechsel.

Der Glencore-Brief

Nach der Präsentation von Sabine Süsstrunk will das Publikum wissen, was das jetzt für den Journalismus von heute und morgen bedeutet. Mit Karin Portmann, Leiterin der SRF Regionalredaktion Zentralschweiz und Tristan Brenn, SRF Chefredaktor TV, sind zwei Profis vor Ort, um Einblicke in den Redaktionsalltag in Zeiten der Fake News zu geben. Unter der Gesprächsleitung von Elena Müller, selbst Videojournalistin, entspannt sich rasch ein Gespräch über die Herausforderungen, vor welche die einfache Bild-, Text- und Tonmanipulation die SRF-Redaktion stellt.

Verteufeln will die künstliche Intelligenz niemand. Auch die SRF-Journalisten arbeiten mit Sprachmodellen, etwa bei der direkten Transkription von Interviews, die sie auf verschiedene Schweizer Dialekte trainieren und dadurch viel Zeit einsparen. Zeit, die sie schliesslich gut brauchen können, um Herkunft und Quellen zu überprüfen. Tristan Brenn erklärt, dass viel häufiger als künstlich produzierte Bilder und Videos, etwa echte Videos in einen falschen Kontext gestellt und dann via soziale Medien verbreitet werden.

Insofern verhält es sich mit der Fake News und Digitalisierung wie mit so vielen Dingen: Fake News und bewusste Täuschung, Falschmeldungen, so genannte Nachrichtenenten, gab es schon immer, aber die digitalen Möglichkeiten machen das Geschäft schneller und die Überprüfung schwieriger. Um das zu verdeutlichen, zückt Karin Portmann einen edel gedruckten Brief, der angeblich von der Zuger Rohstofffirma Glencore an die Redaktion geschickt wurde. Im Brief steht, dass dank erfreulicher Unternehmensgewinne, eine Stiftung mit 100 Millionen Franken Kapital gegründet werden soll. Unterzeichner sind nebst dem Glencore-Chef auch bekannte Zuger Politikerinnen und Politiker. Erst kurz vor der Sendung und damit der Publikation der Meldung kann die Falschmeldung dank eines Rückrufs eines Politikers aufgeklärt werden. Dieser weiss von nichts. Der Inhalt des Briefs ist frei erfunden. Absender unbekannt.

Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass Falschmeldungen und bewusste Täuschung seit jeher eine Herausforderung für die journalistische Arbeit darstellen. Die technologischen Möglichkeiten erhöhen den Druck. Umso wichtiger, so sind sich die Podiumsgäste einig, dass die Redaktionen gut ausgestattet sind und über die notwendigen Mittel verfügen, um ihrer Arbeit nachzugehen.

«Wer hat Angst vor künstlicher Intelligenz?», fragt Elena Müller zum Abschluss in die Runde. Vor der künstlichen Intelligenz habe sie keine Angst, erklärt Sabine Süsstrunk, die komme sowieso. Was ihr vielmehr Sorgen bereitet sind die sozialen Medien und die Menschen, die darauf Unsinn verbreiten.

Text: Roman Gibel, Leiter des Ressorts Entwicklung im Vorstand der SRG Luzern.

Fotos: Joana Büchler, Präsidentin SRG Luzern. Copyright: SRG Luzern

Auf dem Titelbild ist der «Papst in Gucci» zu sehen. Ein mithilfe von Künstlicher Intelligenz erzeugtes «Fake»-Bild des Papstes Franziskus. Joana Büchler, Copyright: SRG Luzern

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